Visuelles Plastik.
An der Straßenbahnhaltestelle, in Zeitschriften, in der Werbung, auf Titelbildern. Überall makellose Barbies und Kens ohne Pickel, Muttermale und schlechte Zähne.
Auf Gruppenphotos ist jeder einzeln der Star. Man umarmt sich in perfekter Pose, ohne jemals zusammen vor einen Photoapparat getreten zu sein.
Die Photoshopmenschen bringen Glanz in jede noch so erbärmliche Fernsehzeitschrift und einen Hauch von Hollywood in das immer gleiche Frauenmagazin.
„Schaut mich an und erblasst vor Neid, denn ihr analogen, digital nicht nachbearbeiteten Menschlein, habt gegen uns keine Chance!“, scheint die Barbie auf der TV-Spielfilm zwischen ihren makellosen Zähnen hervor zu säuseln.
Die analoge Version des Covers mag derweil einen spannenden Film drehen, bei dem sie sich schreiend, laufend und weinend zu 70 Prozent an einer knallgrünen Wand aufhält. Der Regisseur beginnt Szenendrehs oft mit:
„Und jetzt stell‘ dir vor, du bist auf einer riesigen Brücke. Normalerweise wäre es dort sehr windig, aber wir lassen das einfach weg, damit deine Leistung authentischer wirkt“
Die minderwertige Analogversion mag fragen, was man denn im Making-Of erzählen soll. Schließlich kann man nicht einfach mit der Wahrheit herausrücken. Das will doch keiner.
Die Frage stellt sich auch in der Krimiserie, in der sie spielt. Statt ganze Straßenzüge in New York abzusperren und Schaulustige auf Distanz zu halten, schickt man einfach ein paar Studioleute hin, die einen kleinen Teil publikumsunwirksam absperren und die Kameras ein paar Stunden das alltägliche Geschehen filmen lassen. Der eigentliche Dreh findet auch wieder vor einer einfarbigen Wand statt.
Für das Making-Of gibt es auch eine Lösung: Diesmal muss noch über das tolle Miteinander der Schauspieler geredet werden. Demnächst ist das kein Problem mehr, denn keiner will noch große Produktionen mit minderwertiger, überteuerter Menschware drehen.
Stattdessen wird der Film mit namenlosen Stuntleuten und einem motiviertem CGI-Team komplett umgesetzt. Avatar, der erfolgreichste Film seit der Einführung der Statistikfälschung, zeigt, wie es geht. Damit dabei der Starkult nicht komplett auf der Strecke bleibt, lässt man die Stimmen von Prominenten sprechen, die dafür freilich nicht soviel Geld sehen wie für eine schauspielerische Darbietung.
Und ja, warum nicht. Hauptsache, alle gehen mit ausreichend Geld nach Hause und die Leute daheim kaufen sich Bildschirme, die bald größer sind, als sie selbst, um sich gestochen scharfe Danone-Werbung mit perfekt nachbearbeiteten Bananen in 5.1-Sourroundsound anzusehen und zu hören. Fortschritt heißt, es geht immer nur bergauf.
Der neue Photoshop-Kollagen-Übermensch ist längst da, schaut lächelnd von Postern und Bildern auf die traurige Wirklichkeit hinab und weiß im Stillen: „Ohne mich könnt ihr nicht mehr„
Ähnliche Gedanken überkamen mich, als ich „Final Fantasy: The Spirits Within“ zum ersten mal sah. Die Qualität der Animation war damals erstaunlich, aber die Leute wirkten zu glatt, obwohl sicherlich auch anderes möglich gewesen wäre. Zumindest jetzt, am Anfang der Nutzung dieser Möglichkeiten, ist wohl die Verlockung zu groß, vermeintliche Schönheitsfehler realer Darsteller bei den virtuellen Gegenstücken wegzulassen und so eine Riege „Übermenschen“ auf dem Schirm agieren zu lassen. Ich denke allerdings, dass es auch Gegenbewegungen geben wird, weil Leute sich das nicht ewig antun wollen. Es sollte eigentlich ziemlich schnell Überdruss erzeugen.
Hochglanz-Magazine wie TV-[blabla] (Neu! Jetzt mit noch weniger Pickeln als pickelfrei!) sind sowieso aussterbend. Eine solche Fernsehzeitung braucht heute niemand mehr. Rezensionen besserer Qualität – von Leuten, welche die rezensierten Sendungen tatsächlich gesehen haben – findet man im Internet, eine schnöde Programmübersicht sowieso. Bei 3D-Hollywoodfilmen mag das noch anders sein, denn noch kann man solche Werke nur schwer mit ein paar Leuten am heimischen Computer zusammenschrauben. Aber journalistische Publikationen mit der Ausnahme von Bild werden sich zukünftig vermutlich vermehrt nur noch durch Qualität und einen besonderen Charakter am Markt halten können, nicht durch Abschaffung desselben.
Ich vermisse im Moment noch einen nennenswerten Gegentrend zur künstlichen Welt, bin aber gespannt, wie sich die ersten (öffentlich sichtbaren) Zweifler an den neuen Methoden äußern werden.
Die Auflage der Fernsehzeitschriften geht zwar seit Ende der 90er zurück, ist aber immer noch recht hoch. Papier in der Hand zu halten, statt online zu suchen, ist für die meisten Leute immer noch essentiell, auch wenn es für Geeks wie uns selbstverständlich erscheinen mag, bei imdb oder ähnlichen Seiten Filme und Serien zu prüfen. Ein Teil des Rückgangs ist sicherlich auch mit dem qualitativen Niedergang des Fernsehens verbunden.
Derzeit gibt es wohl einen Trend, viele Internet-Anwendungen tatsächlich komfortabel und mit einer Fernbedienung navigierbar auf den Fernseher zu holen. Wenn diese Funktionen in wenigen Jahren dann nicht über einen zusätzlichen Kasten genutzt werden, sondern direkt im Bildschirm integriert sind, werden auch Ottonormalbürger vermehrt auf Angebote wie IMDB zurückgreifen, denke ich.
Dazu kommt noch, dass sich die Offlinegenerationen immer mehr lichten, während die Onlinegenerationen fortwährend Nachwuchs haben. Einfach, weil Zeit vergeht und alte Menschen sterben während junge geboren werden.
Bin mal gespannt, wie sich das entwickelt, oder ob nicht etwas ganz anderes kommt und die aktuellen Vorraussagen in den Schatten stellt.
So oder so gefällt mir die Aussicht, dass die verschiedenen Bereiche besser vernetzt werden und neue Generationen mit tiefer greifendem Verständnis nachkommen 🙂